Der SUV ist das Feindbild schlechthin der Fridays for Future-Bewegung. Doch nun soll ausgerechnet ein SUV von BWM die ökologische Lösung auf Fragen nach alternativen Brennstoffen sein. Wie das möglich sein soll, erklärt Joachim Becker in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Riesen-SUV als Ökoauto?
Die Studie BMW i Hydrogen Next soll die Wasserstoff-Zukunft ankündigen. Doch ein Serienmodell ist noch nicht in Sicht
Massige Statur, breites Kühler-Maul, große Räder – für Umweltschützer ist der BMW X5 in jedem Fall eine Provokation. „Solange SUVs statt kleiner Elektromobile das Bild bestimmen, bleibt der Autoverkehr das Sorgenkind des Klimaschutzes“, proklamieren die #aussteigen-Aktivisten auf der IAA. Dass der BMW i Hydrogen Next keinen Auspuff hat und nur ein wenig Wasserdampf ausstößt, sieht man erst auf den zweiten Blick. Ist die Studie symptomatisch für den „Niedergang der Automobilindustrie“, wie die Deutsche Umwelthilfe meint? Oder verkörpert das Brennstoffzellenfahrzeug die Zukunft der individuellen Langstreckenmobilität?
Klar ist momentan nur: Für Kleinwagen wird Wasserstoff auf längere Sicht keine Alternative sein. Noch immer ist der Brennstoffzellenantrieb fünf bis zehn Mal so teuer wie ein Verbrennungsmotor. Weil die empfindlichen, fast papierdünnen Zellen von Hand und nicht industriell hergestellt werden, sind die Preise des Hyundai Nexo, Mercedes GLC F-Cell und Toyota Mirai mit Vorsicht zu genießen: Die Wasserstoff-Pioniere aus der Manufaktur werden hochgradig subventioniert. Alle genannten Hersteller bereiten die Serienproduktion mit zunächst fünfstelligen Stückzahlen vor, um die Kosten zu senken. Im Vergleich dazu wirken die Ankündigung des neuen BMW-Chefs Oliver Zipse auf der IAA ziemlich wolkig: „2022 führen wir eine Flotte von Brennstoffzellenfahrzeugen ein.“ Gemeint ist eine Testflotte von voraussichtlich hundert Fahrzeugen. Entschieden ist eine Serienproduktion noch nicht: „Wir erwarten in der zweiten Hälfte des nächsten Jahrzehnts einen Anstieg der Nachfrage nach dieser Technologie“, so Zipse: „Wir werden mit einem entsprechenden Angebot für unsere Kunden bereit sein, sofern sie es verlangen.“ Echte Vorreiter klingen anders.
Die Autohersteller warten darauf, dass das Tankstellennetz für Wasserstoff forciert ausgebaut wird – und zwar europaweit. Bis 2030 soll es eine entsprechende Infrastruktur geben, denn die Nutzfahrzeughersteller haben wenig Alternativen, um ihre strengen CO2-Limits in Europa zu erreichen. In Hinblick auf den Klimaschutz würden Brennstoffzellen bei Lkws ohnehin am meisten Sinn machen. Denn ihr Kraftstoffbedarf ist im Dauereinsatz um ein Vielfaches höher als bei Pkws, die im Schnitt nur 50 bis 100 Kilometer pro Tag gefahren werden. In Korea, Japan und China wird ein zusammenhängendes Netz von Wasserstofftankstellen entlang der wichtigsten Fernstraßen bereits aufgebaut. Auch dank der klaren politischen Vorgaben und massiver staatlicher Unterstützung haben Asiens Hersteller bei diesem Innovationsthema die deutschen Hersteller mittlerweile überholt.
Die 100 Wasserstofftankstellen, die bis Ende des Jahres in Deutschland einsatzbereit sein sollen, sind eher Insellösungen für nervenstarke Trendsetter. Praxiserfahrungen mit den genannten Brennstoffzellenautos zeigen, dass die Zapfsäulen für den enormen Druck von 700 bar noch äußerst störanfällig sind. Fast jede zweite Säule funktioniert nicht (richtig) und es kann Tage dauern, bis sie repariert werden. Das Geschäft lohnt sich für die Tankstellenbetreiber nicht, weil jede Zapfanlage rund eine Million Euro kostet und es bisher nur wenige Hundert Kunden dafür gibt. Bis die Technologie reif für Langstreckenfahrer ist, werden noch mindestens fünf Jahre vergehen. Attraktiv sind in jedem Fall die Tankzeit von vier Minuten und die Praxisreichweite von mehr als 500 Kilometern. Reine Batteriefahrzeuge mit einem 800-Volt-Bordnetz wie der neue Porsche Taycan wollen zwar in die Nähe solcher Bestwerte kommen. Anders als beim Wasserstoffantrieb ist indes noch offen, wie lange die Batteriezellen den häufigen Superschnellladestress ohne Kapazitätsverlust goutieren.
Bei der Umweltbilanz liegen die reinen Batteriefahrzeuge dagegen vorne: In der Gesamtbetrachtung brauchen sie nur halb so viel Energie, um dieselbe Strecke zurückzulegen. Zumal es noch kaum Kapazitäten zur klimaneutralen Herstellung von Wasserstoff gibt. Die deutschen Autohersteller werden um das schnellflüchtige Gas dennoch nicht herumkommen, wenn sie auch künftig große Luxusautos mit Anhängerkupplung wie den X5 verkaufen wollen. Immerhin haben sie den Platingehalt des Brennstoffzellen-Stapels fast auf das Niveau eines Diesel-Kats reduziert. „Da sind wir schon ganz gut unterwegs, brauchen aber noch ein oder zwei Entwicklungsschritte, um auf einen guten Kostenpunkt zu kommen“, so ein BMW-Experte. Der Zusammenbau des Brennstoffzellensystems sei nicht komplexer als eine klassische Motorenmontage. (Kosten-)kritisch sei dagegen die großindustrielle Herstellung der Brennstoffzellen selbst. Für einen Stapel mit 100 Kilowatt Leistung sind rund 400 Bipolarplatten nötig. Das macht bei 100 000 Fahrzeugen im Jahr 40 Millionen Teile, die rasend schnell und fehlerfrei gefertigt werden müssen.
„Wir haben uns die Produktion in der Lebensmittel- und Druckindustrie angeschaut. Interessant war auch die Verarbeitung von nicht biegesteifen Teilen in der medizinischen Industrie, zum Beispiel beim Stapeln von Verbänden in Hochgeschwindigkeit“, so der BMW-Insider. Für Brennstoffzellen gibt es solche Prozesse noch nicht, deshalb haben sich die Münchner mit Audi, Ford, Mercedes und Volkswagen unter dem Projektnamen Autostack Industrie zusammengetan. Gemeinsam mit Zulieferern und Anlagenbauern bringen sie gut 30 Millionen Euro auf, um Standards zu schaffen. Die gleiche Summe kommt als öffentliche Förderung unter anderem vom Wirtschaftsministerium. Verglichen mit der Entwicklung eines Motors ist das Kleingeld. Wirklich teuer wird erst der Schritt in die Großserienfertigung. Für eine schnelle Klimawende kommt der Wasserstoffantrieb aus Deutschland in jedem Fall zu spät.
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