Während Amazon tausende neue Mitarbeiter einstellt, um dem Ansturm auf den Onlinehandel gerecht zu werden, bangen mittelständische Unternehmen ums Überleben. Vor allem Modeunternehmen fürchten derzeit um ihre Ware, die eine ähnliche Verfallsrate hat wie Obst. Die Produktionsketten sind lang und jeder will am Ende seinen Lohn haben. Was aber, wenn die Händler auf ihrer Ware sitzen bleiben, im Herbst schon die neue Kollektion kommt und neben den noch unbezahlten Rechnungen wieder neue ankommen? Elisabeth Dostert, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, berichtet über den Hilferuf zweier großer Modeverbunde, deren Existenz bedroht ist.
Verderblich wie Obst
Hersteller und Händler von Mode bangen um ihre Existenz
München – In den Läden konkurrieren einige von ihnen. Doch die Läden haben seit Tagen geschlossen. Nichts geht mehr. In einem gemeinsamen Hilferuf wenden sich nun ein Dutzend deutsche Modemarken und der Bielefelder Einkaufsverbund Katag an die Bundesregierung. „Die Lage ist existenzbedrohend“, sagt Katag-Chef Daniel Terberger: „Bei Schnittblumen und Obst versteht jeder, dass die Ware verdirbt, bei uns ist das nicht viel anders. Uns droht der Totalausfall einer kompletten Saison.“
Die Katag beliefert mehr als 350 Fachhändler, kleine und größere wie Lodenfrey und Konen, mit fremden Marken und eigenen Kollektionen. Die meisten Hersteller rechnen über die Katag ihre Lieferungen an den Handel ab. Stunden lang telefoniert der Familienunternehmer jetzt täglich mit „frustrierten Händlern. Die sitzen zu Hause und können nichts machen. Das ist beängstigend.“ Der kleine und größere mittelständische Handel beschäftige in Deutschland rund 360 000 Mitarbeiter. In der Industrie seien es mit den Fertigungen im Ausland mindestens noch einmal so viele.
Den Hilferuf unterschrieben haben die Chefs der Betty Barclay Group mit Marken wie Gil Bret, Vera Mont oder Public, von Bogner, Brax, die CBR Group mit Marken wie Street One und Cecil, Falke, Fuchs & Schmitt, Marc Cain, Marco O’Polo, Mey, Olymp, Opus und S. Oliver und die Katag – Marken der unterschiedlichsten Preisklassen vereint in einem Hilferuf. Sie fordern für die textilen Industrieunternehmen einen mit 850 Millionen Euro dotierten Liquiditätsfonds, damit sie dem Handel die Ware für Herbst/Winter, sie wird von Juli bis November ausgeliefert, mit 180 Tagen Valuta zukommen lassen können. Damit können die Händler später zahlen. Die Industrie hafte für zehn Prozent der Ware. Am Ende soll der Fonds dann aufgelöst werden. Wann, das weiß niemand.
Das staatliche Hilfsprogramm reiche für den Modefachhandel bei Weitem nicht aus, beklagt Terberger. Die Unternehmen können zwar Kurzarbeitergeld für die Beschäftigten beantragen und als Mieter einen Kündigungsschutz. Das decke aber nur einen Teil der Kosten. Wesentlicher Faktor sei die Ware. Und es komme ständig Ware nach, weil sie schon vor Monaten bestellt worden sei. „Die Sorge tickert durch die komplette Lieferkette“, sagt Terberger. Die Industrie muss ihre Lieferanten in Asien und Osteuropa bezahlen, der Handel die Industrie und alle ihre Mitarbeiter und Dienstleister. Es ist, wie in vielen anderen Industrien auch, eine lange, verwobene Kette – sie läuft über viele Unternehmen und über viele Kontinente.
„Immer neue Ware drückt in die Läden, dabei haben viele Händler noch nicht einmal genug Platz, um die Kartons zu lagern.“ Die Aussichten auf Kredite seien vor allem für die Händler schlecht. „Bankberater erwarten klare Prognosen, wann die Läden wieder öffnen, aber die kann keiner geben.“ Die Händler halten das, glaubt Terberger, zwei bis vier Wochen durch, die besseren vielleicht zwei Monate. Etwas robuster sei die Industrie aufgestellt, „die Firmen schaffen es ein paar Monate, die gut geführten Familienunternehmen auch länger als ein Jahr“, sagt Terberger: „Der mittelständische deutsche Modefachhandel wird gerade ausradiert zugunsten von Amazon.“
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