Innovativ und modern oder eher verwirrend? Veronika Wulf in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über kuriose Jobtitel.
Head of wichtig
Anglizismen und kuriose Fantasienamen: Wann kreative Stellenbezeichnungen sinnvoll sind und was sie bedeuten
Cordelia Röders-Arnold ist Head of Menstruation. Das steht auch auf ihrer Visitenkarte – wenn sie es draufschreibt. Denn bei Einhorn, einem Berliner Start-up, das vegane, nachhaltige Kondome und Periodenprodukte herstellt, darf sich jeder nennen, wie er will. Solange es vermittelt, was er tut. Röders-Arnold kümmert sich bei Einhorn um alles, was mit dem Menstruationszyklus zu tun hat – sie entwickelt Produkte, kümmert sich um Vertrieb, Verkauf, Social Media. „Der Jobtitel war ursprünglich nur ein Gag“, sagt sie. „Aber inzwischen bin ich überzeugt davon, dass man auf genau dieser amüsiert-interessierten Grundlage das Interesse für nachhaltige Alternativen weckt und mit gesellschaftlichen Tabus bricht.“
Was in den USA schon lange in Mode ist, verbreitet sich seit einigen Jahren auch in Deutschland: kuriose Jobbezeichnungen. Längst tauchen sie nicht nur in den Stellenausschreibungen von Start-ups auf, sondern auch große etablierte Unternehmen wie Daimler suchen neben Werkstudenten und Fahrzeugbaumechanikern auch mal einen Solutions Architect oder einen 3D Generalist. Die Arbeitswelt verändert sich – und damit auch die Berufe. Dass es heute keine Schriftsetzer und Stellmacher mehr gibt, dafür Drohnenpiloten und IT-Spezialisten, ist einleuchtend. Und je globaler und vernetzter Unternehmen arbeiten, desto verbreiteter sind englische Titel. Doch muss sich der Rezeptionist wirklich in Master of Welcome umbenennen, die Bankkauffrau in Cash Relation Officer und der Hausmeister in Facility Manager? Und was zur Hölle macht ein Chief Happiness Officer und ein Mystery Fair Visitor?
Drei Arten von neuen Jobbezeichnungen: sinnvoll, angeberisch, kreativ
Die Welt der Jobtitel ist unübersichtlich geworden. Doch man kann grob zwischen drei Arten unterscheiden: Die sinnvollen Titel, die es braucht, weil ein Beruf neu ist und es dafür noch keine Bezeichnung gibt. Die Angebertitel, die aus etwas Banalem etwas toll Klingendes machen, häufig durch eine englische Übersetzung. Und die kreativen Titel, mit denen ein Unternehmen zeigen will, wie es tickt. „Der Chief Digital Officer im Vorstand macht sicherlich Sinn, weil es in klassischen Unternehmensstrukturen das Thema Digitalisierung früher in den Führungsetagen nicht gab“, sagt Tobias Kollmann, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Auch den Data Analysten, der digitale Daten analysiert und auswertet, und den Social Media Manager, der mit Kunden über soziale Netzwerke kommuniziert, zählt Kollmann zu den sinnvollen Titeln. „Das sind Tätigkeiten, die relativ neu sind und für die man eine Bezeichnung brauchte“, sagt er, „deshalb macht es Sinn, hier die neuen Jobtitulierungen einzuführen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was derjenige macht und wofür er zuständig ist.“ Das Problem sei allerdings, dass es für diese Begriffe keine feste Definition gibt und jeder etwas anderes darunter verstehen kann. „Wenn man in die Stellenausschreibungen reinschaut, dann sieht man in Hinblick auf das Anforderungsprofil starke Unterschiede.“
Gerade in großen Firmen, die international agieren, haben sich die englischen Cheftitel wie Chief Executive Officer (CEO) oder Chief Financial Officer (CFO) längst durchgesetzt. Wobei ein CEO im Deutschen sowohl Geschäftsführer als auch Vorstandsvorsitzender sein kann, da die Gremien in angelsächsischen Unternehmen anders organisiert sind. Ansonsten aber sollte man mit wörtlichen Übersetzungen aus dem Englischen vorsichtig sein. Ein Chief ist nicht immer ein wirklich führender Chef, der Officer meistens kein Beamter, oft nicht mal ein Angestellter und nie ein Polizist. Wenigstens im Office, dem Büro, hält er sich meistens auf. Doch nicht mal das ist sicher, wie der Media Distribution Officer, der Zeitungsausträger, oder der Revenue Protection Officer, der Fahrkartenkontrolleur, zeigen.
Die englische Variante klingt einfach schicker
Womit man schnell bei Kategorie zwei der kuriosen Jobnamen ist, bei den Angebertiteln. Ohne Manager, Senior oder Head of X scheint gar nichts mehr zu gehen. Da heißt der Außendienstmitarbeiter auch mal Sales Manager oder Field Operator, obwohl sich die Geschäftsreisen auf kurze Besuche der Zweigstelle im Nachbarort beschränken. Besonders vorsichtig sollte man beim Young Professional Officer sein. Das ist der Praktikant.
„Für das deutsche Ohr klingt die englische Variante immer schicker“, sagt die Arbeitspsychologin Anne Huth. Manager klinge einfach besser als Leiter. Und während der Freiberufler hin und wieder mitleidige Blicke erntet, hört sich Freelancer irgendwie cool an. „Ein Titel transportiert Prestige und ist von daher durchaus wichtig für Mitarbeitende“, sagt Huth. Sie bezweifle zwar, dass sich allein durch einen gut klingenden Titel ein „dauerhafter massiver Motivationssprung“ erreichen ließe. Dennoch könnten Unternehmen Mitarbeitern durch bestimmte Titel zeigen, wie wichtig sie für die Firma sind. „Unser Beruf ist eine der wichtigsten Säulen unserer Identität“, sagt Huth. Die Deutschen identifizierten sich besonders stark mit ihrem Job. „Das geht so weit in unser Wertekonzept, dass wir sagen: ‚Ich bin Psychologin‘, und nicht ‚Mein Beruf ist Psychologin‘.“
Huth, die auch Führungskräfte berät, hält jedoch nicht viel davon, wenn sich Mitarbeiter ihre Titel selbst aussuchen dürfen. „Da kommt es häufig zu Fantasieungetümen und relativ sinnfreien Aneinanderreihungen von Anglizismen.“ Dafür hält das Internet ganze Listen und Jobtitelgeneratoren bereit. So wird aus dem Lehrer der Knowledge Navigator, aus dem Gärtner der Technical Horticultural Maintenance Officer und aus dem Fensterputzer der Vision Clearance Engineer. Häufig stecke hinter solchen Titeln der Versuch, weniger spannende Jobs aufzuwerten, sagt Ökonom Kollmann. „Ob das wirklich immer sinnvoll ist, bezweifle ich.“ Anders sieht er das beim Facility Manager. „Der Hausmeister ist oftmals zu Unrecht mit einer sehr abwertenden Intuition verbunden. Da kann ich schon verstehen, wenn man versucht, das in ein anderes Licht zu rücken.“
Unternehmen nutzen Jobtitel für die Selbstdarstellung
Doch nicht immer geht es nur darum, wie ein Titelträger sich mit seiner Stellenbezeichnung fühlt oder welchen Eindruck diese auf Geschäftskunden macht. Mit der dritten Art der Stellentitel, den kreativen, wollen Unternehmen auch etwas über sich selbst ausdrücken, indem sie einen Datenhelden, eine Kundenservice-Fee oder ein Verkaufsgenie suchen. „Wenn zum Beispiel eine kreative Marketingagentur Mitarbeiter sucht, die nicht so klassisch konservativ sind, dann kann man das über den Stellentitel ausdrücken“, sagt Sandra Stirle vom Personaldienstleister Manpower.
Einhorn ist so ein Beispiel. Neben dem Head of Menstruation gibt es Designhorns – in anderen Unternehmen würde man sie Artdirector oder Grafiker nennen. Als das Start-up Verstärkung suchte, schrieb es genau das in die Stellenausschreibung. „Der Titel sollte Aufmerksamkeit erregen und zeigen, dass wir alles ein bisschen anders machen“, sagt Teresa Limmer, selbst Designhorn. Bei Juliane Lang hat das geklappt. „Ich habe daraus geschlossen, dass sie Humor haben“, sagt sie. Inzwischen ist sie ebenfalls ein Designhorn.
Ein älterer Mitarbeiter, der einen soliden Job mit regelmäßigen Arbeitszeiten sucht, hätte sich wahrscheinlich nicht angesprochen gefühlt. Der wäre aber vermutlich auch nicht glücklich geworden bei Einhorn, wo es keine Chefs gibt und man auch mal zu Hause bleiben darf, wenn man keine Lust auf Arbeit hat. „Grundsätzlich ist die Frage wichtig: Was glaube ich denn, wie die gesuchte Person angesprochen werden möchte?“, sagt Stirle. Das gehe vom Jobtitel bis zum Duzen oder Siezen. Manche Stellenbezeichnungen sind auch absichtlich unverständlich für viele, nach dem Motto: Wer sie nicht versteht, wird sowieso nicht gesucht. Vor allem in der IT-Branche ist das üblich. Ein Android Developer etwa entwickelt das gleichnamige Betriebssystem und ein Scrum Master leitet Projekte nach der Managementmethode Scrum.
Nur: Wie finden potenzielle Designhörner und Sprachtalente Stellenangebote auf Jobportalen? „Die Kunst ist erst mal, gefunden zu werden“, sagt Stirle. Und dabei gilt: Klarheit vor Kreativität. Denn die meisten Leute suchten nach Qualifikationen und Ausbildungsberufen. „Sie geben Begriffe wie Elektriker, Schlosser, Sachbearbeiter, Buchhalter oder auch Marketing und Einkauf ein“, sagt Stirle. Ein Designhorn hat es da schwer. Anders sieht es bei Anzeigen aus, die auf Social Media gezielt ausgespielt werden. „Da kann es auch sinnvoll sein, durch etwas Smartes, Ungewöhnliches Aufmerksamkeit zu erregen.“ Attraktiv muss die Anzeige schließlich auch sein. „Denn was hilft es mir, wenn ich 2000 Klicks auf eine Anzeige bekomme, aber nur zwei Bewerbungen daraus resultieren?“, fragt Stirle.
Ein Chief Happiness Officer ist übrigens für die gute Laune von Mitarbeitern oder Kunden zuständig und ein Mystery Fair Visitor ist ein Testbesucher auf Messen. Doch die Titel sind für Suchmaschinen ungefähr genauso ungeeignet wie der von Stirle: Sie ist Manager CORE (was für Centre of Recruiting Excellence steht) Digital Recruitung Systems & Processes. „Ein schönes Beispiel für einen Stellentitel, den man definitiv nicht nutzen sollte für eine Stellenanzeige.“ Denn der wird weder gefunden, noch ist er attraktiv.
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