Über Sinn und Unsinn des Nutri-Score

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Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hat sich nun doch für den Nutri-Score entschieden. Gegen falsche Essgewohnheiten oder zu wenig Bewegung hilft aber auch kein Label. Ein Kommentar von Michael Kläsgen in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.

Ein Label kann nicht alles sein

Die Lebensmittelkennzeichnung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wichtiger aber ist, Wissen über gutes und gesundes Essen schon früh zu verbreiten.

Julia Klöckner hat die aus Verbrauchersicht beste Entscheidung getroffen. Sie hat von vier Modellen das Ernährungslabel Nutri-Score gewählt. Wie in anderen EU-Ländern soll es bald auch in Deutschland auf der Vorderseite von Lebensmittelverpackungen prangen. Die CDU-Politikerin hätte es sich sparen können, vorher 1600 Menschen zu befragen, welches von den vier Modellen sie am besten finden. Die Befragung diente der Ernährungsministerin lediglich dazu, sich nicht mit der deutschen Lebensmittelindustrie anlegen zu müssen, die mehrheitlich gegen Nutri-Score war.

Die Entscheidung für Nutri-Score ist insofern folgerichtig, als das Label in vielen EU-Ländern bereits erfolgreich funktioniert. Es zeigt plakativ vorn auf der Packung auf einer Ampel-Skala von A (grün) bis E (rot), wie ausgewogen das jeweilige Nahrungsmittel ist. Das ist transparent, leicht verständlich und daher verbraucherfreundlich. Keiner will im Supermarkt lange komplexe Nährwert-Diagramme studieren müssen. Wer aus gesundheitlichen Gründen darauf angewiesen ist, genau zu wissen, was in dem Produkt drinsteckt, kann weiterhin die Zutatenliste auf der Rückseite einsehen. Das Label ersetzt diese nicht.

Nutri-Score hat neben der leichten Verständlichkeit weitere Vorteile: Das Modell führte in anderen EU-Ländern nachweislich dazu, dass Verbraucher gesünderes Essen einkaufen. Es hat sogar bewirkt, dass die Industrie mitunter ihre Rezepte verbessert hat. Da ist natürlich Vorsicht geboten. Die Industrie kann bei den Zutaten tricksen und beispielsweise Salz oder Zucker durch Geschmacksverstärker oder Süßstoff ersetzen, um dadurch besser bewertet zu werden.

Eine Krux der Verordnung, die Klöckner nun auf den Weg bringen will, ist natürlich, dass jeder Hersteller das Label nur aufdrucken muss, wenn er es will. Das wird er nur tun, wenn es ihm nutzt. Verbraucher sollten daraus den Schluss ziehen, gegenüber Lebensmitteln ohne Label skeptisch zu sein. Denn Nutri-Score kann ein probates Mittel dafür sein, ungesunder Ernährung , die der Grund für das grassierende Übergewicht in Deutschland und Europa ist, entgegenzuwirken. Studien belegen, dass Menschen, die vorwiegend grün gekennzeichnete Produkte kaufen, weniger Kalorien, Zucker und gesättigte Fettsäuren zu sich genommen haben, dafür aber mehr Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe aßen.

Jedes Nährwert-Label kann nur eine Orientierungshilfe sein, kein Allheilmittel

Klar ist allerdings auch: Jedes Nährwert-Label kann beim Einkauf nur eine grobe Orientierungshilfe sein, es ist kein Allheilmittel, auf das man sich blind verlassen kann. Auch wer nur mit A klassifizierte Nutri-Score-Produkte isst, kann übergewichtig werden. Kein Label kann etwas gegen falsche Essgewohnheiten oder zu wenig Bewegung ausrichten.

Noch wichtiger als die Kennzeichnung ist daher, mehr Wissen darüber, was gutes und gesundes Essen ist, zu verbreiten. Das fängt in Kita und Schule an. Auf dem Speiseplan der Kantine sollte auch Obst und Gemüse stehen. Idealerweise müssten auch viel mehr Restaurants als Kindergericht nicht nur das übliche Schnitzel mit Pommes oder Chicken-Nuggets auflisten, sondern auch mal was mit Gemüse. Denn wer früh auf den Fett-Kohlehydrate-Zucker-Cocktail konditioniert wird, kommt später nur schwer wieder davon los.

Insofern kann jedes noch so gute Nährwert-Label nicht mehr als nur ein willkommenes zusätzliches Entscheidungskriterium im Supermarkt sein. Wenn es bei der Wahl vor dem Regal jedoch nur darum geht, welches Fertiggericht man nimmt, ist die Chance gering, dass die Ernährung sehr viel gesünder wird. Dazu wird man die Obst-und-Gemüse-Abteilung ansteuern müssen, wo man sogar wahllos zugreifen kann, ganz ohne auf irgendein Label achten zu müssen – auch praktisch.

Zum Kommentar von Michael Kläsgen auf SZ.de

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